Dienstag, 2. April 2024

Der Easyjet Set

Mit dem Aufkommen der düsengetriebenen Passagierflugzeuge und dem zunehmenden Wohlstand in den 1950er Jahren entstand eine neue, welt­umspannende Partyszene. Ihre Teilnehmer – Playboys, Künstler, Prominente, Adlige und andere wohlhabende Nichtstuer - waren ständig mit Flugzeugen unterwegs zu exotischen Orten in Europa und Übersee, wie z.B. Cannes, Saint-Tropez, Portofino, St. Moritz, Gstaad, Acapulco, die Bahamas, Marbella oder Mykonos, wo sie von den ebenfalls neu aufge­kom­me­nen Paparazzi, vor allem für europäische Boulevardblätter, fotografiert wurden. Der Jet Set war geboren.

In den 1980er Jahren ebbte der Trend zwar ab, aber mit dem Zeitalter der Billig­flieger gab es eine Neuauflage: Den Easyjet Set. Die Angehörigen dieser Party­szene fliegen eben­falls um die Welt, oder zumindest durch Europa, immer auf der Suche nach einem neuen Party-Hotspot. Nur, dass sie nicht in der Ersten Klasse von (damals) sündhaft teuren Düsen­maschinen reisen, sondern mit preis­werten Billigflügen namhafter europäischer Billigflieger oder – wenn es sich um regionale Party-Hotspots oder die „letzte Meile“ zum Zielort handelt – mit dem Fernbus oder dem D-Ticket im Nah­verkehr. Einer der Billig­flieger ist die britische Flug­gesell­schaft „Easyjet“, die einen Teil des Namens beisteuert. Man erkennt Easyjet Setter oft daran, dass sie ein kleines Gepäckstück (Tasche oder Ruck­sack) mit den maxi­malen Abmessungen 40x20x25cm bei sich tragen. Das ist genau die Gepäckgröße, die bei den meisten Billig­flug­gesell­schaften unter den Vor­der­sitz passt und im Flug­preis inbegriffen ist.

Organisiert wird die Reise mit dem Smartphone; hier darf es auch schon mal ein teures iPhone sein. Statt in einer Flug­hafen­lounge oder irgendeinem VIP-Privat­club, ver­kehrt man im örtlichen „Star­bucks“ oder „Costa Coffee“ (not­falls tut es auch ein „McCafé“), wo man - neben Cappuccino Gran­de oder Caffè Misto mit Blaubeermuffin oder Cheesecake New York Style - gratis Wlan und gele­gent­lich auch Steckdosen vor­findet. Bezahlt wird natürlich mit der haus­eige­nen Kunden­karte oder App. Bei Vielen ist sogar schon der eigene Mehrweg-Kaffee-Thermo­becher zum Status­symbol ge­worden.

Am Zielort wohnt man möglichst preiswert, z.B. in einem Zimmer das man via Airbnb ge­bucht hat, in irgendeinem Hostel oder man verzichtet komplett auf ein Zimmer und über­nachtet direkt auf der Party. Da es heute kaum noch Paparazzi gibt und die wenigen Verbliebenen sich nicht für den Easy­jet Set interes­sie­ren, nutzt man sein eigenes Smart­phone, um auf der Party Selfies zu schießen und diese dann ir­gend­wo ins Internet hoch­zu­laden. Als Party-Loca­tion kommen alle möglichen Orte infrage. Aus­ge­fallene Orte sind besonders be­liebt, wie z.B. so­ge­nannte „Lost Places“ oder auch die Hohl­räume in einer Auto­bahn­brücke (z.B. in der A4, Schlin­gen­bach­tal­brücke bei Overath im Juni 2021). Oft sind die Eigen­tümer davon nicht be­geistert und nicht selten gibt es Schwierigkeiten mit ört­lichen Be­hör­den. Aber dann zieht man halt weiter zur nächsten Party.

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