Donnerstag, 14. Oktober 2021

Warum Luxemburg kitschig ist

Es sind nicht nur Weine wie ein Château de Schengen, die das Großherzogtum an Mosel und Sauer eher kitschig wirken lassen. Es ist auch seine jüngere Geistesgeschichte. Ursprünglich Teil des Heiligen Römischen Reiches Deut­scher Nation mit einem Moselfränkischen Dialekt als Volks­sprache, gehörte das Land bis 1806 zum Bur­gun­di­schen Reichskreis, dann bis 1866 zum Deutschen Bund, wehrte sich 1867 erfolgreich gegen französische Über­nahmeversuche, erhielt mit den Herzögen von Nassau-Weilburg 1890 seine eigene Dynastie und war bis 1919 Mitglied im Deutschen Zollverein.

Danach biederte man sich zunächst zögerlich, dann aber massiv beim Nachbarn Frankreich an. Und seit 1944 wird in den Verwaltungen, Ministerien, höheren Schulen und bei Gesetzestexten nur noch Französisch ver­wen­det, zunächst vor allem schriftlich. Gesprochen wurde und wird das erst 1984 zur Amtssprache erhobene Lëtze­buergisch. Dennoch wurde auch die Standarddeutsche Sprache mit dem Sprachengesetz von 1984 zur Amts­sprache erklärt. Seither fährt das Land einen sprachlichen Schlingerkurs, der vor allem das unverständliche Moselfränkisch fördert, aber auf die anderen beiden Sprachen nicht so recht verzichten will.

Über die vorder­gründigen Ursachen für die Renaissance des Deutschen seit 1984 kann man nur spe­ku­lieren, aber mög­licherweise hat es mit dem kulturellen und wirtschaftlichen Niedergang Frankreichs zu tun, der den Ge­brauch der deutschen Sprache im luxemburgischen Wirt­schafts­leben gefördert hat. Über die tieferen Beweg­gründe kann man jedoch mit relativer Bestimmtheit sagen, dass die Luxemburger Deut­sche sind, die lieber Franzosen wären. Diese Art von An­bie­derung an fremde Völker kann man schon bei den frü­hen Ger­ma­nen beobachten, die – anstatt ein eigenes Reich zu gründen – sich den Römern als Fußabtreter zur Ver­fügung stellten. Dieses Verhalten ist – sozusagen – typisch deutsch und kann auch in der heutigen BRD allerorts be­obachtet werden.

Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg der Selbstaufgabe ist der Verzicht auf die eigene Sprache. Anstelle der deutschen Hochsprache, deren Dialekt das Moselfränkische ja ist (ähnlich wie Bay­risch oder Norddeutsch), wählt man die Sprache eines vermeintlich überlegenen Nachbarn, auch wenn dieser – wie das alte Rom – seinen Zenit bereits weit hinter sich gelassen hat. Als nächstes muss man nun festzustellen, dass man seine kulturelle Identität nicht so einfach wechseln kann und plötzlich zwischen zwei Sprachen und Kulturen steht. Da man mit dieser Situation natürlich nicht zufrieden ist, besinnt man sich auf den alten, fast vergessenen, regionalen Dialekt und er­hebt diesen zur Landessprache. Aber auch wenn es sich bei diesem Dialekt sprachhistorisch gesehen um eine Variante des Deutschen handelt, wird er in der Folge mit so vielen Gallizismen angereichert, dass man sich schwer anstrengen muss, um die historischen Wurzeln zu erahnen. Folglich zementiert die neue Landessprache nur das, was sie auflösen sollte: Das Sitzen zwischen zwei Stühlen.

Das Ergebnis ist also eine unauthentische und verworrene Situation, in der eigentlich keine Spra­che richtig ge­spro­chen wird und in der ihre Sprecher kulturell fernab jeder Tradition im Nie­mands­land agieren. Man trifft dann z.B. auf Personen mit deutschen Familien- und französischen Vor­namen oder solchen, die auch ihren Nachnamen französisiert haben. Nicht umsonst kommt der Name Molitor (=Müller) im Großherzogtum recht häufig vor. Gesprochen wird aber die regionale Spra­che, die weder für Deutsche noch für Fran­zo­­sen ver­ständlich ist. Nicht selten sprechen sie Französisch mit deutschem und Deutsch mit franzö­si­schem Akzent und woh­nen in Orten mit fran­zösisierten deut­schen Ortsnamen. Sie sind keine Franzosen und werden von diesen oft be­lächelt, aber sie sind auch keine Deut­schen, denn das wollen sie ja nicht mehr sein. Der regionale Dialekt ver­bindet sie leider nur unzureichend mit der eige­nen Geschichte, denn diese ist auch und vor allem nun mal (hoch-) deutsch. Messbar ist dies z.B. am Verschriftungsgrad, insbesondere dem in der Vergangenheit. Und ob es eine französi­sche Zukunft gibt, kann man an­gesichts der Ent­wick­lung der letzten 70 Jahre getrost be­zweifeln. Das was dann noch übrig bleibt ist alberner Kitsch à la Château de Schengen – „typisch deutsch“ möch­te man beinahe sagen.

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