Im 19. Jahrhundert entwickelten sich in
Europa aus zahlreichen kleinen, unbedeutenden Käffern mit einer
schlammigen Heilquelle vornehme Kurbäder. Vor allem der Bau
repräsentativer Kurgebäude fällt in diese Zeit. Dazu gehörte u.a.
eine Brunnen- und Wandelhalle, in der das zu trinkende Heilwasser
ausgeteilt wurde und wo die Kurgäste beim Trinken
witterungsgeschützt flanieren konnten. Denn – wie es damals oft
hieß – das Heilwasser wirke am Besten wenn es während des
langsamen Umhergehens in kleinen Schlucken getrunken würde. Zur
Unterhaltung der Kurgäste spielte dabei häufig ein Kurorchester in
einem in den Bau integrierten Veranstaltungsbereich. Natürlich
durften auch weitere Veranstaltungsgebäude (mit Ballsaal), ein
Kurtheater und ein Spielcasino nicht fehlen. Mit den steigenden
Besucherzahlen kamen auch immer mehr nichtadlige Gäste. Nach dem
Ende der Monarchie in vielen europäischen Ländern setzte im 20.
Jahrhundert ein Trend zur Vulgarisierung ein, sodass sich das
Kurgastprofil vom Adel und gehobenen Bürgertum immer mehr auf
„Sozialgäste“ verlagerte, wie die von Krankenkassen
eingewiesenen Kurgäste oft genannt wurden. Und anstelle von
Tanzbällen gab es in den ehemaligen Ballsälen nun Tagungen und
Konferenzen. Diese Tendenz wurde von den Sozialversicherungsträgern
verstärkt, indem sie in den Kurstädten eigene Kurkliniken
einrichteten. Allerdings wurden die wenigen positiven Auswirkungen
dieser Entwicklung (wie die gestiegene Besucherzahl) auch wieder
zunichte gemacht, als kurz vor der Jahrtausendwende
Gesundheitsreformen einen Besucherrückgang bei den Sozialgästen
auslösten. Das führte dann nicht selten dazu, dass anstelle des
traditionellen Kurbetriebes in Kurmittelhäusern moderne
Thermal-Spaßbäder und Wellness-Badelandschaften errichtet wurden,
die auch ohne offizielle Krankenkassenkur besucht werden konnten, in
der Hoffnung damit wieder mehr Besucher anzulocken. Die Folge
war eine weitere Vulgarisierung der Gästeklientele. Die Situation
ist heute so geartet, dass sogar einst noble Kurorte zu besseren
Ferienorten mit Spaßbad verkommen sind. Damit fällt aber die
alte „Sehen-und-gesehen-werden“-Funktion von Kurorten, wie man
sie früher auch von Kreuzfahrten kannte, weg.
Der Sinn einer Kreuzfahrt
war bekanntlich - neben dem Reiseerlebnis - der gesellschaftliche
Kontakt und ebenjenes Sehen-und-gesehen-werden. Mittlerweile
sind Kreuzfahrten jedoch zu einem Massenmarkt verkommen, sodass sich
auf den Kreuzfahrtschiffen ein eher durchmischtes Publikum
niedrigerer Provenienz tummelt. Neuere Kreuzfahrtschiffe können mehr
als 6000 Passagiere aufnehmen und bieten ein
Unterhaltungsprogramm, das an einen Rummelplatz erinnert. Bei
Kurorten scheint die Entwicklung in die selbe Richtung zu verlaufen,
wenn man die modernen Spaßbäder mit Saunalandschaft und
Wellness-Bereich ansieht.
Der Snob muss nun einen
Schritt zurück treten und die Dinge aus der Distanz betrachten.
Bietet ein Kurort nicht mehr die gesellschaftlichen Möglichkeiten
vergangener Zeiten, dann gibt es einen Grund weniger dort
hinzufahren. Was dann übrig bleibt, ist das Kurambiente, bestehend
aus imposanten (teils zweckentfremdeten) Kurbauten,
Parklandschaften, Freizeitangeboten, (nicht mehr ganz so) gehobener
Hotellerie und Gastronomie sowie Luxusgeschäften. Der eigentliche
Zweck eines Kurortes wird darüber schnell vergessen: Die Nutzung der
ortsgebundenen Heilmittel des Bodens. Aber genau darum geht es! Man
sollte sich folglich wieder auf das Wesentliche besinnen.
Um die ortsgebundenen
Heilmittel des Bodens zu nutzen, braucht man keine imposante
Architektur oder gehobene Hotellerie. Eine Beschränkung auf das
Nötige ist daher angebracht. Was also benötigt man für eine
Kur? Selbstverständlich das Heilmittel, in der Regel eine Heilquelle
(seltener eine Fangogrube), und einen Ort, wo dieses Heilmittel zur
Anwendung kommt. Bei Trinkkuren reicht ein Brunnen; bei Badekuren
muss es ein Badebecken o.ä. sein. Als Unterkunft wäre eine
rustikale Pension und als gastronomische Anlaufstelle ein ebenso
rustikaler Landgasthof denkbar (Gasthof mit Pension ginge natürlich
auch). Eine angenehme Landschaft wäre schon wichtig und ein paar
Freizeitmöglichkeiten wären nicht zu verachten, aber auf alles
andere kann man getrost verzichten. Ein angenehmer Nebeneffekt ist,
dass die Kosten einer solchen „Basis-Kur“ erheblich unter
denen liegen, die ein Aufenthalt in einem gehobenen Kurort
verursacht.
Ein Kurort ohne gehobene
Kureinrichtungen, eine Unterkunft in einer rustikalen Pension und
eine Heilquelle ohne Brunnenhalle erweckt Assoziationen an die
Vorläufer der Kurorte: Die Wildbäder, naturbelassene Badestellen an
Seen, Flüssen oder eben Heilquellen. Das heißt natürlich nicht,
dass man wieder zu den teils recht abenteuerlichen Zuständen der
Anfangszeit zurückkehren sollte. Man werfe an dieser Stelle einen
Blick auf das Alte Bad Pfäfers im St. Galler Rheintal
(Schweiz): Die Heilquelle entspringt tief unten in der Taminaschlucht
und ist seit dem Mittelalter bekannt. In den Anfangsjahren wurden die
Kurgäste in Körben in die Schlucht abgeseilt. Um 1718 wurde der
Kurbetrieb an den Eingang der Schlucht in das damals neu
errichtete Bad Pfäfers verlegt, welches bis zu 500 Kurgäste
beherbergen konnte. Erst 1840 wurde das Wasser in einer Rohrleitung
nach Bad Ragaz geführt, wodurch dieser Ort zum Heilbad wurde. Es
gibt heute wohl kaum einen Kurgast der der Zeit hinterher trauert,
als die Gäste noch in die Schlucht abgeseilt wurden.
Aber auch wenn an leichter
erreichbaren Quellorten inzwischen das Baden außerhalb dafür
vorgesehener Einrichtungen verboten und somit der Weg zurück
zum Wildbad versperrt ist, ist eine Badekur in einem einfachen
Badebecken ein Schritt in die richtige Richtung. Das gilt sogar wenn
das Becken in eine moderne Badelandschaft eingebettet ist, zumal es
sonst ohnehin keine Alternative gibt. Folglich nutzt auch ein Snob
die modernen Thermal-Badelandschaften.
Wie aber kann man das Fehlen
des gesellschaftlichen Lebens, wie man es in einem Kurort des 19.
Jahrhunderts vorfand, kompensieren? Die (vergleichsweise einfache)
Antwort darauf liefert das Internet: Eine Notiz bei Facebook, ein
paar Fotos bei Instagram oder ein Twitter-Tweet und schon erfährt es
die Welt.
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